„Ich kann gut …“ – Warum wir unsere Stärken endlich laut aussprechen sollten

Wenn wir gefragt werden, was wir nicht gut können, fällt uns spontan eine ganze Liste ein:
„Ich kann nicht gut organisieren. Ich bin schlecht in Mathe.
Ich bin kein Teamplayer.“
Zack. Zack. Zack.
Doch sobald die Frage wechselt –
„Was kannst du gut?“ – wird es oft still.
Verlegenes Lächeln. Schulterzucken.
Ein „Ähm… vielleicht.... weiß nicht...?“
Warum ist das so?
Und warum ist es wichtig, dass wir genau diese Frage viel öfter stellen – und beantworten?
1. Die Übung: Ich kann gut…
In unseren Seminaren machen wir regelmäßig eine einfache,
aber kraftvolle Übung:
Alle Teilnehmenden sitzen im Kreis.
Jede:r sagt reihum nur einen Satz:
👉 „Ich kann gut …“
Und ergänzt etwas, das sie oder er wirklich gut kann.
Das klingt vielleicht banal – ist aber alles andere als das.
Denn die Sätze sind mal leise und zögerlich.
Mal humorvoll.
Mal überraschend tief.
Und immer ehrlich.
„Ich kann gut zuhören.“
„Ich kann gut andere trösten.“
„Ich kann gut Tiramisu essen.“
„Ich kann gut Geschichten erzählen.“
„Ich kann gut Ruhe in schwierige Situationen bringen.“
Die Wirkung ist jedes Mal berührend. Und oft bestärkend.
2. Der psychologische Hintergrund:
Was die Forschung sagt:
Die Übung basiert auf Erkenntnissen der Positiven Psychologie, einem Forschungszweig, der sich mit dem „Gelingen“ des Lebens beschäftigt. Martin Seligman, einer der Begründer, spricht von „signature strengths“ – den Charakterstärken, die uns ausmachen und die wir bewusst trainieren und benennen sollten.
Warum ist das wichtig?
• Stärken zu benennen aktiviert unser Belohnungssystem
im Gehirn.
• Positive Selbstwahrnehmung fördert Resilienz und Selbstwirksamkeit.
• Menschen, die regelmäßig reflektieren, worin sie gut sind,
sind motivierter, zufriedener und gesünder.
Und das Beste?
Diese Wirkung stellt sich oft schon nach wenigen Minuten bewusster Reflexion ein.
3. Was uns abhält, unsere Stärken zu zeigen
Es ist ein kulturelles Muster:
Bescheidenheit wird oft mit Zurückhaltung verwechselt.
Wer laut sagt, was er kann, wird schnell als arrogant
abgestempelt. Und so wachsen wir auf mit Sätzen wie:
„Eigenlob stinkt.“
„Nicht angeben.“
„Sei lieber still, dann kannst du nicht verlieren.“
Aber was wäre, wenn Eigenlob einfach nur ehrlich wäre?
Wenn es gar nicht um Prahlen geht –
sondern um das Verantwortungsbewusstsein,
das eigene Potenzial zu kennen?
4. Übung für dich: Deine persönliche Stärkenliste
Probiere es aus. Jetzt gleich.
1. Schreib eine Liste mit 10 Dingen, die du gut kannst.
(Ja, zehn. Nicht mogeln.)
2. Sag sie dir laut vor.
Am besten vor dem Spiegel.
3. Und wenn du mutig bist: Sag sie jemand anderem.
Wenn dir nichts einfällt, denk klein:
Ich kann gut Pflanzen retten.
Ich kann gut Ordnung schaffen.
Ich kann gut auf Menschen eingehen.
Ich kann gut Witze erzählen, die niemand versteht.
Alles zählt.
Denn alles bist du.
5. Stärken machen stark – auch im Team
Ein weiterer Effekt dieser Übung zeigt sich in Gruppen
und Teams: Wenn Menschen hören, was andere gut können, entstehen neue Verbindungen.
Empathie wächst. Wertschätzung auch.
Und oft entdecken Teams neue Ressourcen in sich selbst,
die bisher unsichtbar waren –
weil niemand danach gefragt hatte.
Fazit: Laut denken. Gut fühlen. Mut zeigen.
Die Frage „Was kannst du gut?“ ist mehr als eine nette Coachingübung.
Sie ist ein Schlüssel zu echter Selbstkenntnis und gelebtem Selbstwert.
Und sie ist ein Gegengewicht zu all den Stimmen in und um uns,
die ständig sagen, was nicht reicht.
Wenn wir beginnen, das Gute in uns ernst zu nehmen –
dann entsteht Raum für Wachstum, Klarheit und Vertrauen.